Zukunft pflanzen

Was braucht ein gesunder Wald in der Klimakrise?

Der Schweizer Wald steht unter Stress. Ihm setzen zu: Die Klimakrise, schwankende Holzpreise und die wachsende Entfremdung der Menschen von ihrer Umwelt. Warum es dennoch Hoffnung gibt, erklärt Förster Lukas Gerig an einigen Schauplätzen im Meggerwald. Auch ein Baum-Bot, Gerlinde, lädt zum Dialog über den Wald ein.

Der Meggerwald

und sein Förster

Lukas Gerig (40) arbeitet für den Waldeigentümerverein Wald Seebachtal-Habsburg. Als Betriebsförster setzt er die Interessen diverser Waldeigentümer:innen um. So divers, dass manche emotional mit ihrem Waldstück verbunden sind, andere hingegen gar nicht wissen, wo sich dieses befindet.

Der Meggerwald ist also fragmentiert. Manche Waldflächen gehören Erbgemeinschaften, andere einer Landwirtin, einer Kirchen- oder politischen Gemeinde. Die Eigentümer:innen kann man kaum kategorisieren. Sie sind ein Abbild der Gesellschaft mit unterschiedlichen Vorstellungen, wie ihr Wald auszusehen hat. So setzen manche voll auf Holzproduktion, andere wollen ihre Wälder in eine biodiverse Brache verwandeln, oder gar nichts tun.

Die gute Nachricht: Der Meggerwald verdurstet nicht so schnell wie Wälder auf trockenem Kalkboden, etwa im Jura oder bei Basel. Auf rund fünf Quadratkilometern wächst er auf den Moränen eines längst geschmolzenen Gletschers. Das bedeutet, dass «besondere Waldgesellschaften» auf den Kuppen und Senken des gewellten Geländes wachsen.

Und: Die Senken des Meggerwalds sind nass und voller Lehm. Stimmen die Waldbesitzer:innen zu, legt Förster Gerig dort an passenden Stellen Weiher an. An ihren Rändern wimmelt es vor diversem Leben.

Der Wald ist

be-droht

Eine neue Distanz

An einen Nadelbaum gelehnt sagt Gerig: «Was mir extrem zu schaffen macht, ist die Entfremdung der Gesellschaft von der Natur». Wie ein Wald zu sein hat, schwanke bei immer mehr Leuten zwischen einer ordentlichen Parkanlage und unberührter Wildnis. Vor einigen Jahrzehnten «war der Wald immer super aufgeräumt», sagt Gerig, weil man das Totholz und Äste verfeuerte.

Gerig fragt: «Was ist das Problem, wenn der Wald chaotisch aussieht und Riesen-Asthäufen herumliegen?»

Heute brauche man vielerorts dieses «Chaos» aus Baumstümpfen und morschen Ästen für neue Lebensräume, was bei vielen auf wenig Gegenliebe stösst: «Zum Brätlen geht man mit der ganzen Familie in den Erlebnisraum Wald. Aber das Verständnis, was dort eigentlich passiert, geht verloren.»

Begleitet er Schulklassen oder begegnet Waldspazierenden, versucht der Förster zu sensibilisieren: «Wenn wir als fachausgebildetes Personal Holz schlagen, ist unsere Absicht nicht Profitgier. Generell entwerfe ich keinen Bauplan vom Wald sondern greife lenkend ein.»

Während er einen dicht bewachsenen Waldpfad entlangläuft sagt er, dass jede:r Schüler:in bis zur 6. Primarklasse jährlich ein paar Mal durch den Wald spazieren müsste. Die Schulen sollten Zusammenhänge im Wald stärker in den Fokus rücken.

«Gerade hier in Meggen, der Goldküste Luzerns», moniert Gerig, «sind vielleicht noch ein bis zwei Bauernsöhne in einer Klasse. Viele werden ungern dreckig oder kommen im Winter mit weissen Sneakern in den Wald.»

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Ein verrufener Wirtschaftszweig

Teil des Mosaiks sind Holzschläge, sagt Gerig. Schafft man ältere Bäume aus dem Wald, sei das wirtschaftlich interessant. Vor allem schaffe das Licht und Luft für junge Bäume. Gerig beschleunigt damit die natürliche Sukzession. Denn «was der Mensch nicht holt, erledigt die Natur», etwa nach einem Sturm, sagt er.

Nur: Nach jedem Sturm stürzt der Holzpreis in die Tiefe. Der Förster bewegt sich gezwungenermassen auf einem Zwischenweg zwischen natürlicher Sukzession und einem «legitimen Anspruch, etwas aus dem Rohstoff Holz zu machen: Einen Tisch, Möbel, Energie.»

Insgesamt ist die Wirtschaftlichkeit des Waldes bedroht. Fachkräfte fehlen und die wenigen, die es noch gibt, beklagen «miese Löhne», moniert Gerig. Er resümiert: «Arbeit im Wald lohnt sich nicht mehr und wir sollten uns fragen: Was ist es unserer Gesellschaft wert, Flächen offenzuhalten?»

Das Label «Schweizer Holz» hilft – für den Geldbeutel, aber auch, dass Waldarbeitende nicht in einen Topf geworfen werden mit der Rodungsindustrie im Regenwald: «Da müssen wir uns auf die Hinterbeine stellen! Wir haben ein extrem restriktives Waldgesetz und können gar kein Raubbau an der Natur betreiben.»

Trotzdem werde er von Passant:innen «als Umweltzerstörer angeschossen». Dabei müsse in der Schweiz noch mehr Holz geschlagen werden, da der landesweite Waldbestand überaltert. Allerdings herrscht im Schweizer Wald keine Bewirtschaftungspflicht. Und allerorts gibt es den Rohstoff günstiger. Die weltweite Holzwirtschaft ist so «ein Fass ohne Boden», befürchtet Gerig.

Was macht den Wald klimafit?

Zukünftig häufen sich die «stabilen Grosswetterlagen», während derer es wochen- und monatelang gar nicht oder gleich aus allen Wolken regnet. Schon heute versucht Gerig deswegen den Meggerwald, der zu drei Vierteln aus Nadelholz besteht, «klimafit» zu machen. Dabei badet er die Fehler der Vergangenheit aus.

Einst als profitables, vom Wild vergrämtes und schnell wachsendes Gehölz gepflanzt, sind Fichten verletzbar geworden. Als Flachwurzler sind sie windwurfgefährdet. Und sobald die obersten Bodenschichten austrocknen, fehlt ihnen das Wasser. Sie schwächeln und den Borkenkäfer freut's. Nebst des Weges recken sich trotzdem noch die dünnen Stämme Dutzender Fichten gen Himmel.

«Diese Monokulturen sind nicht zielführend, ein viel zu hohes Risiko. Deswegen sage ich: Immer möglichst divers fahren und das Risiko streuen.»

Grundsätzlich will Gerig zurück zu einem «naturnahen Mischwald». Nach und nach ersetzt er Fichten und andere (Halb-)Schattenbaumarten mit Eichen und ihren wärme- und lichtliebenden Artgenossen. Vor allem setzt er darauf, die einheimischen Baumarten natürlich zu verjüngen. Denn sind diese noch frisch und vital, passen sie sich erstens besser an den Klimawandel an.

Und zweitens können sie in ihrer Wachstumsphase deutlich mehr CO2 speichern als alte Bäume. «Da haben wir dann wieder einen gesellschaftlichen Konflikt, wenn wir alte wunderschöne Buchen fällen», warnt Gerig.

Wie seine Experimente ausgehen, werde sich «erst in 50 Jahren zeigen.» Seine Arbeit passiere oft nach dem Motto «einfach schauen, ob es funktioniert». Bäume zu pflanzen bleibe aber die letzte Konsequenz, da das «die Natur selber machen soll».

Der Förster

balan-ciert

Wie bringt man einen Wald zur Entfaltung?

Eigentlich sei es ja so: «Der Natur ist es extrem egal, was der Mensch macht. Ihr ist es gleich, ob hier eine Fichte oder ein Bergahorn steht», sagt Gerig. Stirbt der Meggerwald, wäre das ein menschliches Problem: «Wir brauchen die saubere Luft und gereinigtes Grundwasser; die Artenvielfalt; die Naherholung; den Schutz vor Steinschlägen und das Bauholz, das Beton ersetzt». Diese Faktoren schliessen sich nicht gegenseitig aus, führten jedoch täglich zu Zielkonflikten.

«Der Wald soll schön sein, sagen viele, aber wenn sie einen Holzschlag sehen, ist das oft negativ behaftet – obwohl ich damit vorausschauend handele»

Gerigs Schuhe schmatzen im Schlamm. Um Lebensräume für Reptilien und Amphibien zu schaffen, hebt er die Senken des glazial geprägten Waldes bis auf die Lehmschichten aus und streicht die Grube mit Lehm aus – fertig ist ein Waldweiher. Innerhalb von ein bis zwei Jahren ziehen auch selten gewordene Arten wie die Gelbbauchunke und die Ringelnatter ein.

Nicht immer falle ihm seine Arbeit aber derart leicht. In einem anderthalb Hektar grossen Gebiet zog 2018 erst Sturmtief Burglind, ein Jahr später ein starkes Gewitter und der Borkenkäfer und 2020 weitere Unwetter hinweg. Gerig räumt ein: «Die ersten zwei Jahre danach hat mir das Gebiet hier keine Freude bereitet.»

Er begann, diverse Baumarten anzupflanzen und die natürliche Verjüngung zu fördern. Mit Blick auf die umzäunten Jungbäume sagt er: «Wenn ich das heute sehe, ist das eine Riesenfreude.» Hier wachsen nun Pionierbaumarten wie die Birke oder die Vogelbeere, klimataugliche Baumarten wie Eiche, Kirsche, Kastanie, Föhre und auch die bereits anzutreffenden Tannen, Buchen und ja, auch Fichten.

Der Förster spielt mit Licht

Gerig fährt einen pragmatischen Ansatz. Für ihn scheint es sinnlos, den Waldbestand nur eindimensional, also auf eine Waldfunktion ausgerichtet zu bewirtschaften. Deswegen lehnt er es ab, Waldbestände nur durch Wasserflächen für einige Tierarten zu ersetzen: «Manche konzentrieren sich auf Tagfalter und Schmetterlinge, andere auf blühende Gräser oder Kastanien. Diesen Tunnelblick muss man öffnen.»

Seine Aufgabe ist es, «das alles ins grosse Ganze einzuordnen um einen Weg einzuschlagen.» Der Spielraum ist jedoch begrenzt. Weder könne er etwas am Niederschlag verändern noch am Boden oder in der Luft.

«Grundsätzlich kann ich nur mit dem Licht spielen – dieser Baum kommt weg, sodass der Boden oder ein anderer Baum Licht bekommt.»

Kontrollieren kann er den Waldwuchs also nicht. Aber wohin will er ihn lenken? «Wenn der alte Baum wegkommt, muss ein junger schon wachsen. Diese Schnittpunkte müssen wir erreichen.» Und weil der Mensch die Natur überall zurückdrängt, will Gerig dem Wald «als Inbegriff eines naturnahen Lebensraums» auch artenvielfältige Räume in einem intakten Ökosystem bieten.

Nur braucht es im Mosaik des Meggerwaldes vor allem eines: Geduld. Und Mut, «in unserer kurzlebigen Zeit Jahre zu warten, um zu schauen, wie sich etwas entwickelt». Denn viele Generationen zuvor schauten zum Meggerwald und machten ihn zu dem, was er heute ist.

Für ein intaktes Ökosystem braucht es von allem etwas, ein Mosaik: Keine Fichten-Monokulturen, kein Raubbau an der Natur, keine idyllische Bambi-Disney-Welt.

Was in der Krise

hoffen lässt

Das motiviert den Förster

Gerig hat seinen Teil dazu beigetragen, dass sich noch in 50 Jahren diverse Bäume im Meggerwald tummeln. Im Video erzählt er, was ihn motiviert und hoffen lässt.

«Das wird ein Wald sein, der seinen Weg gehen wird.»

V. Hast du Fragen an den Wald?

Dann stell sie Gerlinde, der Linde aus dem Meggerwald!